Sprachgenies in Weiß

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Wenn Mediziner*innen fachsimpeln, kapieren Laien oft kein Wort. Wenn die Halbgötter in Weiß einmal richtig loslegen, bleiben die Patient*innen ratlos zurück. Die Seniorenagentur gibt Tipps, wie Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt trotzdem verstehen – ob die nun wollen, oder nicht!

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Haben Sie sich auch schonmal gefragt, was bei der Visite über Sie erzählt wird? Geht es Ihnen auch so, dass Sie nach der Diagnose nachfragen müssen, was gerade beredet wurde? Dann sind Sie nicht alleine. Viele Patient*innen sind unzufrieden und fühlen sich von ihrer Ärztin oder ihrem Arzt abgefertigt und verlassen die Krankenhäuser oder Arztpraxen oft mit Befunden, die ihnen Rätsel aufgeben. Bedauerlicherweise nur sind die vielen teils unaussprechlichen Fachausdrücke für die Mediziner*innen unverzichtbar. Das liegt an der Vielzahl unterschiedlicher Krankheiten und Diagnosen, die durch die Alltagssprache nicht immer präzise zu beschreiben sind. Laut Angaben der Wissensplattform Lecturio umfasst der medizinische Sprachschatz der Ärzt*innen hierzulande mittlerweile rund 170.000 Bezeichnungen, davon 80.000 Namen für Medikamente, 10.000 Namen zur Bezeichnung von Organen und Körperteilen, 20.000 für Organfunktionen und rund 60.000 Namen für Krankheitsbezeichnungen – Tendenz steigend.

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Bemerkungen verschlüsselt

„Manchem ist am Ende kaum mehr bewusst, dass er für den Laien in Rätseln spricht. Der Respekt vor Kittel und Titel hindert viele Patienten dann in der Praxis daran, ständig nachzufragen – die Ärzte glauben sich verstanden“, berichtet der Münchener Merkur. Allerdings diene den Mediziner*innen das Ärztelatein auch dazu, Bemerkungen über ihre Patient*innen so zu verklausulieren oder zu verschlüsseln, dass die es nicht mitbekommen. Wer also die Gelegenheit hat, der Ärztin oder dem Arzt über die Schulter zu schauen, während er oder sie die Patientenakte ausfüllt, sollte dies tun. „Vielleicht kommen Sie dahinter, was er wirklich von Ihnen denkt oder wie es wirklich um Sie steht“, mutmaßt die BZ-Berlin mit einem Augenzwinkern.

Fachtermini schaffen Distanz

Nicht immer ist es für die Ärtztin oder den Arzt der einfachste Weg, offen und verständlich die Diagnose darzustellen. Besonders, wenn Patient*innen dabei sind. „Da kann es zuweilen hilfreich sein, wenn nur der nebenstehende Kollege versteht, worum es gerade geht“, berichtet der Tagesspiegel. Solange die Diagnose mit der Kollegin oder dem Kollegen noch abgestimmt werden soll, kann die Geheimniskrämerei sofern durchaus sinnvoll sein. Die entsprechenden Fachtermini schaffen dann nicht nur Distanz zum Patienten, sondern bisweilen auch zum nichtakademischen Pflegepersonal. Wenn bei der Visite nicht über die Krankheit des Bettlägerigen spekuliert wird, sondern von „Extraorbitalinfraluminiert“ die Rede ist, bleibt meist auch der tüchtigsten Oberschwester der Sinn verschlossen. Dabei verbirgt sich hinter dem Wort-Ungetüm nichts anderes als „über den Augen unterbelichtet“ oder deutlicher: Geistig nicht sehr rege. So kann die Fachsprache mehr verdunkeln, als sie enthüllt. Dann haben manche „Fachbegriffe“ der Ärzt*innen nur einen Zweck: Die Patientin oder der Patient soll sie nicht verstehen. Wer nichtsdestotrotz bei der nächsten Visite wissen möchte, was die Ärtztin oder der Arzt wirklich sagt, bekommt hier in loser Reihenfolge aus den Medien zusammengetragen eine kleine Auswahl der wichtigsten Ausdrücke serviert:

Anatomische Normvariante: Hierbei handelt es sich um eine außergewöhnlich attraktive Patientin, oder einen besonders gut gebauten Patienten.
Extraorbitalinfraluminiert: Heißt im Klartext „über den Augen unterbelichtet“, oder noch deutlicher: Geistig nicht sehr rege.
Per ventum: Durch den Wind, der Patient ist verwirrt.
Supranasal übersichtlich strukturiert: Über der Nase liegt ein wichtiges Organ des Menschen – das Gehirn. Mit dieser Floskel verheimlichen die Ärzte, dass sie einen Patienten für nicht so intelligent halten.
Morbus Bahlsen: Der Arzt attestiert somit, dass der Patient „einen an der Waffel“ hat und ihm auf den Keks geht – abgeleitet vom Namen des Keksherstellers Bahlsen.
Logorrhoe: Dieser Begriff trifft auf eine Person zu, die ein unstillbares Redebedürfnis besitzt.
Forcierte Balneotherapie: Verstärkte Säuberung, oder: Sollte mal richtig gewaschen werden.
Flatulenzen: Sind als Blähungen bekannt. Spricht ein Mediziner vom „Flatus Transversus„, attestiert er dem Patienten allerdings einen „quersitzenden Darmwind“ – ihm fehlt nichts.
Foetor ex ore: „Foetor“ bedeutet im Lateinischen „Geruch“, „ex ore“ demnach „aus dem Mund“. Der Ausdruck trägt somit im Volksmund den Namen „übler Mundgeruch“. Dabei hat die Krankheit nichts mit mangelnder Pflege der Zähne und des Mundraums zu tun, sondern es handelt sich tatsächlich um eine Erkrankung.
Patient ist extern pigmentiert: Mit dieser Aussagen machen Ärzte mehr oder weniger deutlich, dass der Patient dreckig ist und sich waschen sollte. „Extern“ bedeutet außerhalb, „pigmentiert“ heißt soviel wie gefleckt.
Das ist ein Vakuumphänomen oberhalb von C Null: Mit der Bezeichnung „C Null“ meinen Mediziner den Bereich oberhalb der Wirbelsäule, also den Kopf. Wenn dort ein Vakuum herrscht, ist über den Patienten bereits alles gesagt. Im Klartext: Dass das medizinische Fachpersonal einen nicht für besonders klug hält.
Cave Linguam: Hüte Deine Zunge. Ein Hinweis unter Ärzten, dem Patienten gegenüber mit Aussagen vorsichtig zu sein.
Cerebralaplasie: Cerebrum ist das Wort für Gehirn und Aplasie beschreibt das Fehlen eines Organs. In diesem Fall fehlt dem Patienten oder der Patientin also anscheinend das Gehirn.
Morbus Freitag: Schwemme älterer Patienten zur Aufnahme am Freitagnachmittag, meist weil die Betreuung am Wochenende fehlt.
U. a . f.: Ut aliquid fiat (lat. „damit überhaupt etwas geschehe“). Heißt: Arzt hat keine Ahnung, bietet aber dennoch eine Therapie an, um den Patienten zu beruhigen.
Klimakterisch akzentuierte negative Vitalitätsschwankung: Meint nervende Meckerziege in den Wechseljahren.
Maligne Logorrhoe: Bedeutet bösartiger Wortfluß, der/die redet wie ein Wasserfall und stiehlt dem Arzt kostbare Zeit.

Quellen: Sueddeutsche, Frankfurter Rundschau, Tagesspiegel, WMM, RTLNews, WirtschaftsWoche

Insgesamt gilt: Nicht alle Ärzt*innen lästern über ihre Patient*innen. Viele der obigen „Fachbegriffe“ sind nicht wirklich böse gemeint, sondern eher charmante Ausdrucksweisen, um den Patienten oder die Patientin nicht zu verletzen. Die Ausnahme: Medizinisch klingende Diagnosen mit rassistischen Hintergründen. Die meisten Ärztinnen und Ärzte sind sich eh darüber im Klaren, dass auch andere Leute ihre Geheimsprache verstehen können, weshalb diese Fachbegriffe gar nicht mehr so häufig angewandt werden. Bei den Patient*innen, die eine solche Situation also mitbekommen gilt: Mit Humor nehmen!

Fachchinesisch online übersetzen

Abseits der codierten Geheimsprache dominiert natürlich weiterhin das klassische Diagnose-Kauderwelsch, das für den Kranken immer noch sehr unverständlich sein kann. Hier kommt die nötige Hilfe aus dem Netz. Das Fachchinesisch von Ärzten zu übersetzen ist das Ziel der kostenlosen Online-Plattform „Was hab‘ ich?“. Seit über zehn Jahren läuft das Projekt, an dem mehrere Universitäten beteiligt sind. Patient*innen senden ihre ärztlichen Befunde ein, Medizinstudierende übersetzen diese in ein verständliches Deutsch. Mittlerweile wurden über 57.000 Befunde übersetzt, wie die gemeinnützige Initiative in Dresden mitteilt. Den Macher*innen geht es demnach nicht darum, das Arzt-Patienten-Gespräch zu ersetzen. Sondern das Vertrauensverhältnis zwischen ihnen soll unterstützt werden. Zweitmeinungen, Diagnosen oder Behandlungsempfehlungen gibt es auf dem Portal nicht.

App, Ärzte
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Dolmetscher-App bei der Visite

Auch das Team des medizinischen Übersetzungsdienstes „Care to Translate“ will Patient*innen und Ärzt*innen dabei unterstützen, sich gegenseitig besser zu verstehen. Die App dient als Ergänzung zu menschlichen Dolmetscher*innen im Gesundheitswesen und ist rund um die Uhr auf Ihrem mobilen Gerät verfügbar. „Care to Translate“ kann sowohl in Notsituationen als auch bei der täglichen Arbeit auf der Station eingesetzt werden. Die „Dolmed-App“ ist dagegen noch in der Startphase. Hierbei sollen medizinische Befunde fotografiert werden, die App liefert anschließend Erklärungen zu den Fachbegriffen. Wichtig noch zum Schluß: Einen Besuch in der ärztlichen Sprechstunde ersetzen alle diese Dienste nicht – sie sollen lediglich dabei helfen, die Diagnose besser zu verstehen. (DE/2023).

Literaturempfehlungen:
– Michael Dirk Prang: „Ärztelatein im Klartext“, Stiftung Gesundheit
– Werner Bartens, „Das Ärztehasserbuch: Ein Insider packt aus“, Knaur
– Dr. med. Eckart von Hirschhausen: „Arzt – Deutsch / Deutsch – Arzt“, Langenscheidt Sprachführer

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