Jedes Jahr verunglücken in Deutschland tausende Menschen bei Verkehrsunfällen. Laut dem Statistischen Bundesamt waren allein im Jahr 2021 insgesamt 66 812 Menschen ab 65 Jahren in Unfälle mit Personenschaden verwickelt. Medienberichten zufolge will die Europäische Kommission das mit einer neuen Führerscheinrichtlinie für Europa ändern.
Die Waitzstraße im Hamburger Bezirk Altona ist als Senioren-Crashmeile bekannt. Wie die Hamburger Morgenpost am 28. Januar 2023 berichtete, krachte dort kurz vor Weihnachten ein 77-jähriger Rentner mit seinem SUV in die Außenfassade eines Cafés. Aufgrund der zahlreichen Unfälle, die seit 1998 von älteren Autofahrern verursacht wurden, plädierte die Bezirksabgeordnete Stefanie von Berg (Grüne) für eine Fahrprüfung für Senioren.
Beide Ereignisse stehen stellvertretend für das, was tagtäglich auf deutschen Straßen passiert: dass Menschen bei Verkehrsunfällen zu Schaden kommen. In einer Zahl von Fällen waren vor allem Menschen über 65 Jahren mit ihren Autos in solche Unfälle verwickelt oder haben sie direkt verursacht.
Die geplante Führerscheinänderung der EU
In Deutschland gilt die Regel, dass man nach bestandener Fahrprüfung eine lebenslange Erlaubnis zum Führen eines Pkws hat und damit am Straßenverkehr teilnehmen darf. Im Gegensatz dazu müssen Lkw- und Busfahrer ihren Führerschein alle fünf Jahre verlängern lassen. Dies wäre nach Medienberichten der Frankfurter Rundschau und der Autobild.de, mit Verweis auf die Pressemitteilung der EU-Kommission, für alle Führerscheininhaber*innen in Europa nun zu ändern. Diese Änderung beinhaltet, dass in Zukunft alle Senior*innen über 70 ihre Fahrtauglichkeit alle fünf Jahre nachweisen müssen. Laut Brüssel ist diese Änderung, von einigen Ausnahmen abgesehen, nicht in allen EU-Ländern gesetzlich geregelt.
Führerschein in Deutschland
Alle Fahrerlaubnisklassen für Pkw, Lkw oder Zweirad im Überblick. Welche Klasse man für welches Kraftfahrzeug braucht.
B-Klassen: für Pkw und kleine Anhänger
ADAC – Fahrerlaubnisklassen
C-Klassen: für Lkw mit mehr als 3,5 Tonnen
A-Klassen: für Zweiräder aller Art
Wieso möchte die Kommission dies nun ändern?
Nach den Zahlen der Europäischen Kommission sterben jedes Jahr EU-weit 20 600 Menschen bei Verkehrsunfällen. Um diese Zahl zu verringern, plant die EU-Kommission eine umfangreiche Führerscheinreform. Die Vision der Europäischen Union in Brüssel ist groß. Nach den Plänen der Kommission soll die Zahl der Verkehrstoten bis 2030 halbiert werden, und Brüssels Vision geht sogar noch weiter: Wenn es nach Brüssel geht, soll es bis 2050 keine Verkehrstoten mehr auf europäischen Straßen geben.
Fahrtauglichkeits-Prüfungen ab 70
In Deutschland wird laut Auto Zeitung die Fahrtauglichkeit von Senior*innen nicht regelmäßig geprüft. Behörden können jedoch entscheiden, ob jemand seine Fahrerlaubnis behält. Durch angeordnete Fahrten durch die Führerscheinbehörde, kann festgestellt werden, ob ein oder eine Führerscheininhaber*in in der Lage ist, am Straßenverkehr teilzunehmen. Ist dies nicht der Fall, kann die Fahrerlaubnis durch die Führerscheinbehörde entzogen werden.
Wenn man jedoch genauer hinschaut, sind zwar laut dem Statistischen Bundesamt Senior*innen seltener in Unfälle verstrickt als jüngere Personen, aber laut der Deutschen Verkehrswacht sind diese häufiger in schwere Verkehrsunfälle verwickelt.
Ältere Menschen seltener in Verkehrsunfälle verwickelt
Ältere Menschen sind gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung seltener in Verkehrsunfälle verwickelt als jüngere. Im Jahr 2021 waren 66 812 Menschen ab 65 Jahren an Unfällen mit Personenschaden beteiligt, das sind 14,5 % aller Unfallbeteiligten. Im Jahr 2021 waren dagegen 22,1 % der Bevölkerung in Deutschland mindestens 65 Jahre alt. Die geringere Unfallbeteiligung dürfte unter anderem daran liegen, dass ältere Menschen nicht mehr regelmäßig zur Arbeit fahren und somit seltener als jüngere am Straßenverkehr teilnehmen. Im hohen Alter geht auch die Nutzung individueller Verkehrsmittel wie Auto oder Fahrrad zurück.
Die Pressemitteilung des Statistisches Bundesamt: Verkehrsunfälle März 2023
Unfälle sind seltener, aber schwerwiegender
Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil verunglücken Menschen ab 65 Jahren seltener bei Verkehrsunfällen als jüngere. Sie sind jedoch überproportional häufig in schwere Verkehrsunfälle verwickelt. So lag ihr Anteil an allen Verunglückten im Jahr 2021 bei 13,9 Prozent. Bei den Verkehrstoten waren es jedoch 33,9 Prozent. Damit gehörte jeder dritte Verkehrstote zu dieser Altersgruppe.
Besonders gefährdet waren die über 75-Jährigen, denn aufgrund nachlassender körperlicher Widerstandskraft sind die Folgen von Verkehrsunfällen mit zunehmendem Alter gravierender.
Im Jahr 2021 bei Straßenverkehrsunfällen Verunglückte ab 65 Jahren:
Leichtverletzte Schwerverletzte Getötete Gesamt Fußgänger*innen 3.415 1.594 195 5.204 (Mit-)Fahrer*innen von Kraftfahrräder 1.860 979 76 2.915 (Mit-)Fahrer*innen von Personenkraftwagen 14.312 3.902 332 18.546 (Mit-)Fahrer*innen von Bussen 838 139 4 981 (Mit-)Fahrer*innen von Fahrräder/Pedelecs 11.761 4.228 222 16.211 Insgesamt verunglückte Senior*innen 33.086 11.169 868 45.123
Quelle: Destatis: Unfälle von Senioren im Straßenverkehr 2021; nicht dargestellt: Sonstige VerkehrsmittelTypische Unfallursachen
Typische Unfallursachen der Verkehrsteilnehmenden ab 65 Jahren im Jahr 2021 waren:
- zu Fuß Fehler beim Überschreiten der Fahrbahn
- mit dem Rad und Pedelec die falsche Straßenbenutzung
- mit dem Auto Fehler beim Abbiegen, Rückwärtsfahren, Ein- und Anfahren sowie Vorfahrtsfehler
- mit Motorrädern nicht angepasste Geschwindigkeit und Abstandsfehler
Sofern im Jahr 2021 über 74-Jährige als Autofahrende an einem Unfall beteiligt waren, trugen sie in drei Viertel (75,9 Prozent) der Fälle die Hauptschuld an dem Unfall, an dem sie beteiligt waren.
Verkehrswacht: Seniorinnen und Senioren – Unfallstatistik
Regelung in anderen europäischen Ländern
Ob diese geplante Änderung sinnvoll ist oder nicht, kann jede Person für sich selbst entscheiden. In Deutschland gibt es einige politische Stimmen, die sich gegen diese Regelung zu Fahreignungstests für Senior*innen aussprechen. Schaut man über die Grenze hinaus in andere EU-Länder, so ist dort die Fahrtauglichkeit im Alter gesetzlich geregelt. Deshalb möchte laut der Auto-Zeitung die EU-Kommission diese umfassende Führerscheinreform für alle ihre Mitgliedsstaaten umsetzen.
Fahreignungstest für Senioren in anderen Ländern bereits Pflicht
In Deutschland erfolgt eine Fahreignungsprüfung derzeit nur in begründeten Einzelfällen. In anderen EU-Ländern sind Fahrtests für Senior*innen aber schon Pflicht. Etwa in der Schweiz: Hier muss man ab 70 Jahren eine Kontrolluntersuchung bestehen, um die Fahrerlaubnis zu behalten. In Spanien müssen Autofahrer*innen ab 65 alle fünf Jahre eine medizinische Untersuchung durchführen lassen. In Dänemark braucht man ab 75 Jahren ein ärztliches Attest, um seine Fahrerlaubnis zu verlängern. Ab 80 Jahren muss man den Führerschein neu beantragen. Aber auch wenn man gesetzlich noch nicht verpflichtet ist, hat jede Autofahrer*in die Möglichkeit, die Fahrtauglichkeit selbst zu überprüfen. So können regelmäßige Gesundheitschecks bei Ärzt*innen oder eine Übungsfahrt mit Fahrlehrer*innen Defizite bei den eigenen Fähigkeiten aufdecken. Daher soll ab 2023 laut Auto-Zeitung diese Prüfung bald Pflicht werden.
Schon jetzt gibt es Vorschriften für die ärztliche Untersuchung von Autofahrern in europäischen und außereuropäischen Ländern, und diese sind sehr unterschiedlich geregelt:
50 Jahre | Portugal |
55 Jahre | Litauen |
60 Jahre | Lettland, Luxemburg, Tschechien, Ungarn |
65 Jahre | Estland, Griechenland, Kroatien, Portugal, Slowakei, Spanien |
70 Jahre | Dänemark, Finnland, Vereinigtes Königreich, Irland, Italien, Malta, Slowenien, Zypern |
75 Jahre | Niederlande, Schweiz |
80 Jahre | Norwegen |
Die Untersuchungen können aus einem Sehtest, einem medizinischen Check, einem Fahrtest oder einem Demenzcheck (ab 70 Jahren in Japan) bestehen – wie es laut Wikipedia heißt. Auch ein Blick über den Atlantik zeigt, dass solche Untersuchungen in den USA vorgeschrieben sind. In Japan wurde laut Bericht der Hamburger Morgenpost eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass seit den obligatorischen Fahreignungstests die Zahl der Unfälle kontinuierlich gesunken ist.
Sollten Senioren*innen ihren Führerschein abgeben?
Senior*innen, die regelmäßig mit dem Auto zum Discounter, zum Arztbesuch, zum Sport, zur Arbeit oder zum Besuch der Familie fahren, brauchen den Führerschein dort, wo es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt. Auch aus Grund der eigenen Unabhängigkeit. Außerdem werden laut Merkur ältere Autogebrauchende davon abgehalten, ihren Führerschein abzugeben, weil in den meisten Bundesländern Deutschlands der öffentliche Personennahverkehr schlecht ausgebaut ist und dort nicht alle öffentlichen Verkehrsmittel barrierefrei sind. Jedoch können jüngere sowie ältere Menschen mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigungen selbst entscheiden, ob sie den Führerschein freiwillig abgeben. Das kann für manche Personen ein schwerer Schritt sein, weil sie dadurch einen Teil ihrer Unabhängigkeit aufgeben. Ob man ab einem bestimmten Alter seinen Führerschein abgeben oder sich einer Fahrtauglichkeitsprüfung unterziehen muss, bleibt vorerst weiterhin nicht gesetzlich geregelt.
Die Anforderungen für den Führerschein
Um einen Führerschein zu erhalten oder zu erneuern, muss eine Person medizinische Mindestanforderungen erfüllen. Zur Zeit gelten in Deutschland folgende Anforderungen:
- Autofahrer*innen müssen mit/ohne Brille oder Kontaktlinsen mindestens 0,7/0,7 Tagessehstärke nachweisen
- Sollte eine Augenkrankheit festgestellt werden, muss der Autofahrer regelmäßig die Sicht ärztlich prüfen lassen
- Bei Krankheiten des Bewegungsapparates, die das Nutzen eines Fahrzeugs erschweren, soll kein Führerschein ausgestellt werden
- Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen muss die Fahrtauglichkeit von einem Arzt bescheinigt werden
- Autofahrer*innen, die Diabetes haben, sollen alle zehn Jahre auf Fahrtauglichkeit geprüft werden
- Wer regelmäßig unter einer schweren Unterzuckerung leidet, soll keinen Führerschein (mehr) haben
- Autofahrer*innen mit neurologischen Beschwerden brauchen eine Bescheinigung vom Arzt über die Fahrtauglichkeit (gilt insbesondere für Menschen mit Apnoe)
- Autofahrer*innen mit Epilepsie können einen Führerschein nur dann machen oder behalten, wenn sie seit einem Jahr keinen Anfall hatten. Epileptiker brauchen regelmäßige ärztliche Untersuchungen, außer sie hatten seit fünf Jahren keine Anfälle mehr.
- Führerscheine werden nicht an Personen ausgestellt, die schwere kognitive oder intellektuelle Störungen aufweisen. Dazu gehören auch altersbedingte Veränderungen.
- Führerscheine werden nicht an Personen ausgestellt, die regelmäßig Alkohol oder Drogen missbrauchen.
In vielen dieser Fälle wird in Deutschland die Fahrtauglichkeit durch Ärzt*innen geprüft. Das ist auch bei Demenz oder Alzheimer der Fall. Die Frankfurter Rundschau schreibt, dass einige Verkehrsexpert*innen sich für einen Check bei älteren autofahrenden Mitmenschen aussprechen.