Digitalzwang

Digitalzwang

Bild: lechenie-narkomanii/Pixabay

In vielen Bereichen des täglichen Lebens können Dinge heutzutage digital erledigt werden. Das ist bequem und spart Zeit. Die Umstellung auf digitale Angebote bringt jedoch nicht nur Vorteile mit sich. Was für viele Menschen praktisch und unkompliziert ist und das Leben erleichtert, stellt andere vor Riesenprobleme. Nicht nur Menschen der älteren Generation sind mit dieser Entwicklung oftmals überfordert. Wenn Menschen gezwungen sind, digitale Dienste zu nutzen und das Angebot an analogen Alternativen fehlt, sprechen Experten von „Digitalzwang„.

Behördengänge, Bankgeschäfte, Steuererklärung, Ticketkauf – kaum ein Bereich kommt heute ohne digitale Vorgänge aus. Immer öfter werden Verbraucherinnen und Verbraucher genötigt, sich diesem digitalen Angebot anzupassen, um Alltagsdinge zu erledigen. Die Nutzung digitaler Dienste oder die Preisgabe persönlicher Daten wird dabei oft mit Vorteilen belohnt. Analoge Alternativen – sofern vorhanden – werden scheinbar immer umständlicher, unbequemer gestaltet und somit unattraktiv.

Auch beim Kunden-Service hat die Digitalisierung Einzug gehalten. Fachkundiges Personal wird hier gerne eingespart und Sprachcomputer ersetzen die freundliche persönliche Ansprache einer kompetenten Fachkraft. Wer heute seine persönlichen Anliegen klären möchte, ist oftmals gezwungen sogenannte Service-Hotlines zu nutzen und hängt dort nicht selten stundenlang in der Warteschleife fest.

„Ob Terminbuchungen, Überweisungen, Vorteile fürs Bahnfahren – viele Dienstleistungen werden zunehmend nur noch über App und Internet angeboten. Menschen, die nicht online sind oder sein wollen, grenzt das aus. Experten sprechen von Digitalzwang.“

Quelle: www.reporterdesk.de

1. Definition „Digitalzwang“
2. Digitale Kluft
3. Das Recht auf ein Leben ohne Smartphone
4. App statt Chipkarte
Bahnfahren digital
Krankenkassen digital
Rabatt nur mit App
5. Beispiele aus dem Alltag
6. Noch nie online

Definition „Digitalzwang“

Von einem Digitalzwang kann gesprochen werden, wenn Menschen gezwungen sind, digitale Dienste zu nutzen und das Angebot an analogen oder datenschutzfreundlichen Alternativen fehlt.

Den Begriff „Digitalzwang“ unterteilt der Verein Digitalcourage e.V. folgendermaßen:

  • Digitalisierungszwang: Keine analoge Alternative vorhanden. Ausgrenzung von Menschen ohne digitale Geräte oder digitale Kompetenzen.
  • App-Zwang: App als Voraussetzung, um einen Service zu nutzen. Zwang zum Besitz eines Smartphones oder eines vergleichbaren digitalen Gerätes.
  • Kontozwang/Accountzwang: Kundenkonto als Voraussetzung, um einen Dienst zu nutzen. Zwang zur Preisgabe persönlicher Daten.
  • Datenabgabezwang: Erzwungene Zustimmung zu Überwachungstechnologien wie Trackern und Cookies, um einen Dienst zu nutzen.

Digitale Kluft

Menschen ohne digitale Kompetenzen oder ohne Smartphone werden gesellschaftlich ausgegrenzt, so der Verein Digitalcourage e.V.. Über eine soziale Ausgrenzung aufgrund mangelnder digitaler Kompetenzen hat sich bereits im Jahr 2001 die Europäische Kommission in Brüssel Gedanken gemacht. Um digitale Angebote nutzen zu können, braucht es Kenntnisse im Umgang mit Computer, Internet, Smartphone und Co. – fehlen diese digitalen Kenntnisse, werden Menschen zwangsläufig von vielen Lebensbereichen ausgeschlossen oder benachteiligt. Man spricht hierbei von einer sogenannten „Digitalen Kluft“. betroffen sind dabei nicht nur Seniorinnen und Senioren, sondern auch Menschen mit einem geringen Haushaltseinkommen oder einem niedrigen Bildungsabschluss – so die Caritas.

Das Recht auf ein Leben ohne Smartphone

Auf der Website digitalcourage.de wird das „Grundrecht auf analoges Leben“ thematisiert. Demnach dürfen Menschen nicht aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt, benachteiligt oder von der Grundversorgung abgeschnitten werden, weil sie kein Smartphone nutzen. Das gilt sowohl für diejenigen, die sich kein Smartphone leisten können oder mit der digitalen Technik nicht zurechtkommen, als auch für Menschen, die sich ganz bewusst für den Verzicht auf ein Smartphone entscheiden. Es sollte immer auch analoge Alternativen geben.

App statt Chipkarte

Digitale Chipkarten werden mittlerweile zunehmend von Apps abgelöst, die ohne Smartphone nicht genutzt werden können. Neben ihrem eigentlichen Zweck fungieren viele Apps als Datensammler. Besonders kritisch wird es, wenn Apps mehr Daten sammeln, als für deren Funktion tatsächlich notwendig sind. Eine App verlangt oftmals Zugriff auf bestimmte Dienste, Standort- und Bewegungsdaten, Mikrofon, Fotos oder Kontaktdaten. Auf Basis dieser gesammelten Daten können detaillierte Profile der Nutzerinnen und Nutzer erstellt werden, beispielsweise Bewegungsprofile oder Profile über das Einkaufsverhalten. Bei der Nutzung von Apps heißt es deshalb immer: Augen auf beim Datenschutz.

Grundsätzlich zwingt uns niemand, Apps zu nutzen. Im Alltag können wir in der Regel selbst entscheiden, wie viel digitale Angebote wir in unser Leben lassen. Wir können uns ohne Weiteres gegen die Nutzung einer Rabatt-App entscheiden. Das führt im schlimmsten Fall dazu, dass wir von den damit verbundenen Vorteilen nicht profitieren können. Das ist zugegebenermaßen ärgerlich, aber nicht unbedingt lebenswichtig. Anders sieht es aus, wenn eine App für grundsätzliche Dinge zwingend erforderlich wird, wie Bahnfahren, Arztbesuche oder Behördengänge. Das Leihen eines E-Scooters funktioniert übrigens auch nur mit App und Smartphone.

Bahnfahren digital

Bahnfahren mit App, Bild: FunkyFocus/Pixabay

Beim Bahnfahren ist der Umstieg auf digitale Angebote deutlich spürbar. Ohne Chipkarte oder Smartphone geht hier fast gar nichts mehr. Immer öfter werden die elektronischen Chipkarten durch Apps auf dem Smartphone ersetzt. Ein funktionierendes und geladenes Smartphone wird somit zur Voraussetzung für eine Zugfahrt. Eine weitere Einschränkung in der individuellen Entscheidungsfreiheit stellen die Fahrkartenautomaten dar, die auf bargeldlose Zahlung umgestellt wurden und ausschließlich mit Karte funktionieren. Auch die Fahrplanhefte des öffentlichen Nahverkehrs erscheinen in vielen Landkreisen nur noch in digitaler Form.

Krankenkassen digital

Auch im Gesundheitswesen haben digitale Projekte Einzug gehalten. Neben E-Rezept und elektronischer Patientenakte soll ab 2026 die GesundheitsID eingeführt werden. Die GesundheitsID ist als Alternative zur Versichertenkarte der Krankenversicherung geplant, beim Arztbesuch müsste die Karte dann nicht mehr vorgelegt werden. Ähnlich wie beim Online-Banking greift die App auf die bei der Krankenkasse hinterlegte elektronische Patientenakte zu. Wer die GesundheitsID nicht will oder kein Smartphone hat, soll jedoch nicht ausgeschlossen werden. Eine Pflicht zur GesundheitsID soll es nicht geben; die Möglichkeit, die Versichertenkarte zu nutzen, bleibt weiterhin bestehen.

Rabatt nur mit App

Das Konzept ist nicht neu: Rabattpunkte sammeln bringt dem Kunden Prämien und dem Anbieter auf der anderen Seite wertvolle Informationen über dessen Konsumverhalten. Bonusprogramme wie Payback oder Deutschlandcard werden zunehmend abgelöst von Apps, die Vergünstigungen beim Einkauf versprechen. Ob Drogerie, Supermarkt oder Kaufhaus – mittlerweile werden sogenannte Rabatt-Apps auch als Zahlungsmittel im Einzelhandel genutzt. Die Apps werden von vielen Geschäften angeboten und locken die Kundschaft mit Rabatten und Vorteilen. Viele Vergünstigungen sind nur in Verbindung mit der entsprechenden App erhältlich. Wer sparen will, kann sich gezwungen sehen, sich diese firmeneigenen Apps herunterzuladen. Händler wollen sich auf diese Weise die Kundenbindung sichern und Daten über das persönliche Kaufverhalten sammeln. Die Stiftung Warentest hat einige dieser Rabatt-Apps untersucht und festgestellt, dass sich mit den Apps kaum sparen lässt, dafür aber umso mehr Daten gesammelt werden.

Einkaufen mit App, Foto: maxmann/Pixabay

Persönliche Daten wie Name, Geburtsdatum und Kontodaten sind in der Rabatt-App hinterlegt. Der Bezahlprozess an der Kasse wird über die App ausgeführt, und via Lastschrift wird der Betrag für die Einkäufe vom Konto des Kunden abgebucht. Mitunter wird auch die Freigabe des eigenen Standorts verlangt. Die Apps sind in Bezug auf Datenschutz in jedem Fall mit Vorsicht zu genießen, denn neben der Preisgabe von persönlichen Daten werden auch jede Menge Informationen über Kaufverhalten, Interessen und Gewohnheiten des Kunden gesammelt. Die Verbraucherzentrale weist auf die Risiken solcher Kunden-Apps hin.

Beispiele aus dem Alltag

Beispiele von digitalen Angeboten, wo die analogen Alternativen umständlich, selten oder teilweise schon komplett weggefallen sind:

Deutschlandticket

Das Deutschlandticket gibt es ausschließlich in digitaler Form, die Papierform ist inzwischen ganz abgeschafft. Ein Abo ist erforderlich. Da die Fahrkarten nur noch digital auf dem Smartphone oder einer Chipkarte ausgegeben werden, gibt es hier keine Ausweichmöglichkeit auf analoge Alternativen. Ein Beispiel, das dies deutlich macht, fand unlängst in Göttingen statt, wo ein gültiges Deutschlandticket in Papierform nicht akzeptiert und der Fahrgast kurzerhand des Busses verwiesen wurde. Der Sozialverband VdK Baden-Württemberg e.V. fordert: „Für Menschen, die aufgrund ihres Alters oder einer Behinderung nicht mit dem Smartphone und einer App umgehen können, muss es auch in Zukunft analoge Angebote der Deutschen Bahn geben. Das Deutschlandticket in ausgedruckter Form muss bei einer Ticketkontrolle gelten.“

DHL

Der Paketdienstleister DHL rüstet viele Packstationen um. Die neuen Packstationen sind fortan App-gesteuert, Abholung und Versand sind nur noch mit dem Smartphone und einer Bluetooth-Verbindung möglich. Auch wenn DHL von zahlreichen alternativen Zustellvarianten spricht, gibt es online viele Beschwerden. Laut digitalcourage.de zielt die Seite darauf ab, die Verbraucherinnen und Verbraucher durch einen wenig dienstleistungsorientierten Info-Service zu zwingen, die entsprechende DHL-App herunterzuladen – beispielsweise wenn es um die Neuzustellung eines Pakets geht, dass versehentlich in der Packstation gelandet ist. Weiter heißt es dazu: „Die Option einer Neuzustellung ist zwar rein theoretisch vorhanden, wurde aber so trickreich auf der DHL-Website versteckt, dass die wenigsten Menschen davon erfahren. Sie bleiben dann in dem Glauben, dass sie ihr in der Packstation eingesperrtes Paket nur in die Finger bekommen, indem sie die App installieren.“

Deutsche Bahn

Die BahnCard gibt es seit Juni 2024 nur noch in digitaler Form. Die Plastikkarte wurde abgeschafft, stattdessen werden die Kunden gezwungen, eine App mit Kundenkonto zu nutzen. Fazit: Ohne Online-Account keine günstige Fahrkarte. Viele Personengruppen werden damit ausgeschlossen. Eine erzwungene Preisgabe persönlicher Daten erfordert seit Oktober letzten Jahres auch das Sparpreis-Ticket der Deutschen Bahn. Fahrgäste müssen als Voraussetzung für den Erwerb des vergünstigten Tickets E-Mail-Adresse oder Handynummer angeben. „Alle, die dieser Datenfreigabe nicht zustimmen können oder wollen, werden damit künftig vom kostengünstigeren Reisen mit der Bahn ausgeschlossen, kritisieren Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und Digitalcourage in einem gemeinsamen Statement.“

Banken

Immer mehr Geldautomaten verschwinden, und das Abheben von Bargeld ist teils mit langen Wegen verbunden. Vielerorts werden auch die Kontoauszugsdrucker abgeschafft. Bei der Sparda-Bank heißt es beispielsweise: „Da Ihre Kontoauszüge in der Postbox online vorliegen, entfällt die Möglichkeit, Kontoauszüge am Kontoauszugsdrucker in unseren Filialen auszudrucken. An den Kontoauszugsdruckern erhalten Sie nur eine Mitteilung über Ihren aktuellen Kontostand.“. Menschen ohne Online-Banking werden von diesem Service ausgeschlossen und müssen ihre Kontoauszüge in Papierform gesondert beantragen. Hierfür werden monatlich 0,85 Euro Portogebühren erhoben, während das Online-Banking kostenlos ist. Zunehmend werden Bankfilialen geschlossen, stattdessen wird vermehrt auf Online-Banking umgestellt. Durch die Einsparung von Personalkosten geht nicht nur der persönliche Service verloren, auch die Abwicklung gestaltet sich für viele Menschen schwierig. Digitale Geräte sind notwendig, um die Bankgeschäfte zu erledigen. Heise.de berichtet: „Bei vielen Geldinstituten funktionieren Online-Transaktionen allerdings nur noch, wenn Kunden eine Authentifizierungs-App verwenden, für deren Nutzung ein Smartphone oder Tablet zwingend erforderlich ist.“

Terminbuchungen beim Arzt

Termine beim Arzt werden zunehmend über Online-Tools vergeben. Eine telefonische Anmeldung scheint teils gar nicht mehr möglich. Laut einer Auswertung des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) waren Arztpraxen schlecht bis gar nicht telefonisch erreichbar, nachdem sie auf Online-Terminbuchung umgestellt hatten. Zudem wird die Nutzung eines solchen Online-Buchungsportals an Bedingungen geknüpft, die datenschutzrechtlich bedenklich sind. Patientendaten werden teilweise von den Praxen an das Online-Buchungsportal übermittelt, und bestimmte Portale verlangen sogar eine Registrierung. Das geht weit über den eigentlichen Zweck hinaus – nämlich die schlichte Weitervermittlung von den Daten, die für die Terminvereinbarung tatsächlich erforderlich sind. In der Kritik steht auch, dass bei der Online-Buchung gesetzlich Versicherte gegenüber Privatpatientinnen und Privatpatienten vermutlich benachteiligt werden.

Noch nie online

Foto: Kaitlyn Baker/Unsplash

Laut Statistischem Bundesamt waren in der EU 2023 rund 6 % der 16- bis 74-jährigen Bevölkerung noch nie online. In Deutschland waren es 5 %, was einer Zahl von knapp 3,1 Millionen Menschen entspricht. Eine weitere Schätzung besagt, dass 33 % der Weltbevölkerung offline sind – also ohne Internetzugang (Stand 2023).

Fazit: Digitale Angebote sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken und bringen in vielen Bereichen des täglichen Lebens Erleichterung. Wichtig zur Inklusion aller Personengruppen ist das Vorhandensein analoger Alternativen. Die Freiheit, zwischen analoger und digitaler Technik zu wählen, muss bestehen bleiben. Niemand darf von der gesellschaftlichen und sozialen Teilhabe ausgeschlossen werden aufgrund mangelnder digitaler Kompetenzen oder weil er kein Smartphone besitzt.

(Karola Neder/Juni 2024)

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